Geschichte Teil II – Die Blütezeit

Von der ersten Wiederbegründung bis zu den Studentenunruhen Ende der 1960er

Die Palatia hatte 1926 mitgeholfen, die Unitas Willigis Mainz zu gründen. Gut fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges revanchierte sich Willigis indem sie die Palatia bei ihrer Wiederbegründung zwischen 1950 und 1952 unterstützte. Aber auch nach der erfolgreichen Gründungsphase wurde weiter ein guter Kontakt nach Mainz gepflegt. Ebenfalls wurden mit den Frankfurter Vereinen Rheno Moenania, Guestfalia Sigfridia und später Chatto Thuringia traumhafte Feste gefeiert.

Abbildung – Vereinsfest in den 1950er Jahren

Erinnerungen eines Gründungsmitglieds vor 68 Jahren

Bbr. Peter Haendler erinnert sich in der Festschrift zum 80. Stiftungsfest an diese Gründungszeit. Er hatte im Herbst 1950, wenige Tage nach seinem 18. Geburtstag, seine Heimat und Elternhaus in der damaligen sowjetischen Besatzungszone und seit 1949 Deutschen Demokratischen Republik (DDR) verlassen, da er dort wegen seiner politischen Grundhaltung und seiner Mitarbeit in der kirchlichen Jugendarbeit nicht in die Abiturklasse versetzt wurde. In Bensheim an der Bergstraße konnte er dann mit kirchlicher Hilfe das Abitur ablegen und begann im Sommersemester 1952 das Studium am damaligen Pädagogischen Institut in Jugenheim an der Bergstraße. Die Schwierigkeiten, die sich ihm als mittellosem und vom Elternhaus durch ein diktatorisches System getrenntem Studenten in den Weg stellten, waren doch recht gravierend, sodass er noch im gleichen Semester ein Gespräch mit dem Studentenpfarrer von Darmstadt führte. Dieser gab ihm einen sehr klugen Rat, der vor allem darauf abzielte, ihn aus seiner menschlichen Isolation heraus zu führen und ihm die Chance zu geben, in einer studentischen Gemeinschaft ein gewisses Maß an Geborgenheit zu finden. Dieser Rat lautete: „Du gehst zu einem bestimmten Termin zu einer Zusammenkunft von einigen Darmstädter Studenten, die demnächst eine neue katholische Verbindung gründen wollen“. So kam Bbr. Peter Haendler zu der Gruppe Darmstädter Studenten, die im Begriff waren, die Unitas Palatia wiederzubegründen. Das offizielle Proklamationsfest fand im Wintersemester 1952/53 statt. Bbr. Peter Haendler war damals sehr stolz, eines der Gründungsmitglieder zu sein. Kurze Zeit später wechselte er an die Universität in Frankfurt, wo er bereits einige Bundesbrüder kannte, was sein Leben dort sehr erleichterte. Auch während des Berufslebens und danach empfand Bbr. Peter Haendler die Unitas als eine, das Leben bereichernde und durch das Leben tragende, Gemeinschaft.

Unitas Palatia in der Mitte der 50er Jahre

Bbr. Hans Börner berichtete in der Festschrift zum 80. Stiftungsfest über das Vereinsleben in den frühen 50er Jahren. Bbr. Börner hatte im Wintersemester 1952 mit dem Studium begonnen und wurde im Sommersemester 1954 rezipiert. Zu den Gründen, warum er in die Unitas eintrat, zählte er neben der Freundschaft zu Bbr. Arno Theves, der bereits im Semester zuvor rezipiert worden war, der enge Zusammenhalt der Bundesbrüder sowie die beiden anderen Prinzipien Virtus und Scientia. Auch gehörte hierzu der Verzicht auf das Farbentragen. Nach seiner Zwangsuniformierung als Pimpf in der Hitler-Jugend war für ihn eine weitere Uniformierung als Student undenkbar. Dabei konnte Bbr. Börner die Schärpen und Baretts der Chargen gerade noch akzeptieren, die Vollwichs hingegen empfand er nach eigener Aussage als „unmöglich“.

Abbildung – Weihe der Fahne Anfang der 1950er Jahre

Fuchsmajor war Bbr. Ernst Schuhmacher. Er nahm seine Aufgabe sehr ernst und führte die Füxe umfassend in das unitarische Leben ein. Leider ging er nach dem Vorexamen zur Unitas Reichenstein nach Aachen. Dem Senior Bbr. Herbert Sadoni gelang es, durchweg interessante Wissenschaftliche Sitzungen und Feste zu gestalten. An einem Fest trat als Highlight eine Sängerin der Mainzer Oper auf. Weitere Aktive waren zu der Zeit Bbr. Otto Kippes (Consenior), Bbr. Paul Steinebach, Bbr. Norbert Smuda und Bbr. Gerd Wagner. Ehrensenior und väterlicher Freund und Mahner war Bbr. Dr. Heinrich Brass.

Alle Aktiven waren auf unterschiedliche Weise von der NS- und Kriegszeit geprägt und standen teilweise noch unter Schock. Nicht nur, dass Bbr. Norbert Smuda (Jahrgang 1919) als Kriegsteilnehmer über eine Vielzahl von Ereignissen aus seiner Zeit als Heeresfunker erzählen konnte und wollte, was oft zu sehr langen Abenden führte, suchte man bewusst den Kontakt in der Katholischen Studierendengemeinde (KSG) und grenzte sich klar von Gruppierungen ab, die begeistert oder in vorauseilendem Gehorsam die Nationalsozialistische Studentenschaft gebildet hatten. In einer Zeit, in der man sich unter Studenten noch „siezte“ (vor 1968), war innerhalb der KSG (später KHG: Katholische Hochschulgemeinde) und zwischen den katholischen Verbindungen das „Du“ selbstverständlich. Natürlich nahm man am Leben der KSG regen Anteil und gestaltete es mit. Studentenpfarrer und Dekan Dr. Degen und KSG-Sekretärin Frau Escher waren dabei stets Unterstützer der Palatia. Neben dem Kontakt zum CV (Nassovia, Nibelungia und Rheinpfalz) und KV (Starkenburg und Moenania) wurden auch mit dem Wingolf und dem Akademischen Verein (AV) Einladungen ausgetauscht. Der Kontakt zu schlagenden Verbindungen wurde abgelehnt.

Da man kein Haus hatte, fanden die Treffen in Gaststätten wie Sitte, Bockshaut oder Krone statt. Besonders dankbar waren die Aktiven für die Einladungen von Alten Herren. Besonders zu nennen ist hier die Familie unseres lieben Bbr. Dr. Heinrich Brass, dessen Töchter bisweilen auch die Feste mit ihren Darbietungen bereicherten. Auch bei der Familie von Bbr. Sutor war man oft zu Gast. Er hatte Anfang der 50er Jahre beabsichtigt, mit eigenen Mitteln ein katholisches Studentenheim zu bauen, fand aber leider nicht die damals notwendige Unterstützung der KSG. Er förderte die Aktiven, soweit er es vermochte, auch durch seine Anwesenheit bei Veranstaltungen.

Sein Wirken wurde erst durch seinen Sohn, Bbr. Rolf Sutor, später durch seinen Neffen, Bbr. Matthias Brunner, fortgeführt.

Der Darmstädter Altherrenverein war zur Wiederbegründung sehr klein, zu den regelmäßigen Gästen zählten Bbr. Erich Schnorr und Bbr. Josef Thrin aus Frankfurt, bei Stiftungsfesten die Bundesbrüder Walter Weyer, Köln und Scherhag aus Limburg. Als regelmäßige Teilnehmer an Veranstaltungen kamen dann sehr bald Bbr. Günther Grossmann und Bbr. Ludwig Seibert hinzu. Man war sehr dankbar, dass der Altherrenzirkel Bergstraße die Palatia unterstützte, besonders die Bundesbrüder Dr. Prassel und Weis. So ging man zum Exbummel in der Faschingszeit nach Bensheim zu Bbr. Alois Prassel und seiner Familie. Dort wurde man königlich aufgenommen und genoss vor allem die in unübersehbarem Umfang von Frau Prassel bereitgestellten „Kreppel“. Nach dem Öffnen des Kellers war die Heimfahrt für zwei Bundesbrüder sehr verspätet, zumal die Tochter der Gastgeber und ihre Freundin recht diskussionsfreudig waren. Ungeachtet dessen, wurden die Pflichten des Vereinslebens von Chargen und Aktiven damals sehr ernst genommen, wozu alle Bundesbrüder beitrugen. Es fanden regelmäßig Wissenschaftliche Sitzungen statt. Außerdem wurde viel gewandert, so zum Beispiel regelmäßig nach der Sonntagsmesse. Beliebte Ziele waren der Odenwald, Traisa, Ober-Ramstadt und Nieder-Beerbach. Es sprach sich herum, wo die größten Schnitzel serviert wurden. Häufig wurde man von den Damen des „Damenflors“ begleitet, was einzelne Bundesbrüder bisweilen zu der wohl nicht ganz uneigennützigen Warnung veranlasste, „den Damen nicht zu weite Wege zuzumuten“. Besonderer Höhepunkt im Vereinsleben war für die kleine Truppe natürlich die Teilnahme an den Generalversammlungen.

Die Geschichte nach der Wiederbegründung der Unitas in Darmstadt

Noch 1954 stießen die Bundesbrüder Werner Lorek, Jack Wagner, sowie Franz Heil zu dem kleinen Kreis. Bbr. Werner Lorek (vgl. S. 128) berichtet über die Zeit ab 1954:

Abbildung – Gruppenbild zur Fahnenweihe Anfang der 1950er Jahre

Seit seinem Eintritt, so Bbr. Lorek, ging es mit der Palatia abwärts. Drei Bundesbrüder wechselten die Hochschule, darunter Bbr. Pfarrer Hans Wagner, (der Später den Eröffnungsgottesdienst der Generalversammlung am 17.05.1996 zelebrierte). Kaum selbst der Fuxenzeit entwachsen, wurde Bbr. Lorek Fuchsmajor, ein Semester später aus Personalnot bereits Senior, weil der designierte Senior Bbr. Hans Börner aus familiären Gründen sein Studium unterbrechen musste. Gleichzeitig wurden einige Bundesbrüder wegen Examensvorbereitungen inaktiviert. So erreichte man unter Bbr. Loreks Seniorat mit zwei Aktiven den Tiefpunkt der Palatia. Die beiden verbleibenden, Bbr. Wolfgang Keller und Bbr. Werner Lorek, leisteten in dieser Existenznot damals folgenden Darmstädter „Rütlischwur“: „Wenn wir noch einmal hochkommen sollten, werden wir durch Gründung einer zweiten Korporation (zur gegenseitigen Unterstützung in Notzeiten) und durch den Bau eines Unitas Hauses dafür sorgen, dass die Existenz der Unitas Palatia nie mehr gefährdet sein wird.“ Visionen müssen sein, auch wenn sie illusionär aussehen! So wurde das Semesterprogramm vollständig unter die Prämisse der Nachwuchswerbung gestellt. Wochenlang wurden jeden Abend gemeinsam katholische Studenten besucht und die unitarischen Prinzipien gepredigt. Aber die Wende kam nur langsam, weil Keilgäste von den Veranstaltungen zum Teil enttäuscht waren. Denn Anwesenheitszahlen von zwei bis drei Aktive und vier bis fünf Aktive stellten alles andere als eine lebenssprühende Gemeinschaft dar. Bbr. Walter Kuhn und Bbr. Gerd Danner waren die ersten Idealisten, die sich trotz der rudimentären Aktivitas begeistern ließen, von da an wuchs die Aktivitas wieder.

Abbildung – Exbummel und Radtour nach Lindenfels 17.6.1954

Die 1960er Jahre

Ideen für die Gründung eines Hausbauvereins wurden erstmals 1959 angesprochen. Später wurde von den Aktiven durch Conventsbeschluss der Darmstädter Hausbauverein gegründet. Die Alten Herren müssten, nach Aussage der Aktiven, dann einfach mitmachen, um sich nicht zu blamieren. Tatsächlich ging die Rechnung auf und es machten fast alle alten Herren mit.

Da es kein Haus gab, hatte man es auch den anderen katholischen Verbindungen gegenüber nie leicht. Durch den aufopferungsvollen Einsatz des Ehrenseniors, Direktor Dr. Heinrich Brass (und seiner Gattin), sowie der mühevollen Keilarbeit einiger Aktiver (Werner Lorek, Gerd Danner, Walter Kuhn, Wolfgang Franz Keller) gelang es, eine Blütezeit der Unitas Palatia zu erreichen. Werner Lorek beschreibt, wie es aufwärts ging. 1958 hatte man zehn Füchse, für 1959 nahm man sich 15 vor und schaffte schließlich 14. Durch diese Keilerfolge Ende der 50er Jahre waren auf einem Konvent 1960 schließlich ganze 28 Bundesbrüder und vier Alte Herren anwesend. Dadurch konnte 1961 sogar, durch „Zellteilung“, ein zweiter Unitas- Verein gegründet werden. Anfangs nannte man ihn Unitas-II, nach einigen Überlegungen und Absprachen entschloss man sich schließlich dazu, am 20.6.1961 die Unitas-Hochmeister Braunsberg in Darmstadt wieder zu reaktiviert, um Verwechslungen zu vermeiden wurde der Name in Hochmeister-Unitas umgekehrt. Durch die Wiederbegründung konnte man einen rein geistlichen Alt-Herren-Stamm gewinnen, was für Darmstädter Verhältnisse sehr außergewöhnlich ist. Vor allem ist dieses wohl Bbr. Dr. Karl Stopfkuchen zu verdanken.

Laut Protokollen sei „zur Keilarbeit wichtig, dass den Neueintretenden grundsätzlich freigestellt wird, welche der beiden Korporationen sie beitreten wollen“. „Wichtiger ist, dass mit Kopf gearbeitet wird, als dass man sich gegenseitig das Wegkeilen von Gästen vorwirft!“ Zudem war man bemüht, dass stets ein Vertreter des anderen Vereins auf den Conventen anwesend war. Einmal im Semester fand zusätzlich auch ein gemeinsamer Convent statt. Aufgrund seiner Nähe zu vielen Bundesbrüdern und seinem Engagement bei Vorträgen sollte Prof. Dr. Bracht Ehrenphilister werden. Da das Schwarze Brett in der Technischen Hochschule für alle Aushänge zu klein geworden war, sollte ein neues mit einer Plexiglasplatte gekauft werden. Weiter wurden KSG und AStA Wahlen unterstützt, sowie Vertreter zu den Festkommersen der christlichen Verbindungen Darmstadts entsandt. Auf dem gemeinsamen Convent der beiden Vereine waren am 15.01.1963 42 Bundesbrüder anwesend. Im Sommer 1963 wurde Karl Heinz Moller neuer Vorsitzender, Hans Börner Schriftführer und Walter Bräkelmann Quästor des Altherrenvereins. Mit Horst Schwarz stellte die Palatia zudem für das Wintersemester 1963/64 den zweiten Sprecher der KSG.

Auch die Planungen zum Hausbau schritten voran. Während ein Vorschlag auf eine achtjährige „Sparzeit“ abzielte, bat ein anderer um eine Beschleunigung des Prozesses durch Zuhilfenahme von staatlicher Unterstützung. Da der Baugrund zu dieser Zeit knapp wurde, drängte man auf den Kauf eines Grundstückes. Zunächst jedoch sollte der Hausbauverein rechtskräftig werden, weshalb der Alte Herr Sax um Mitglieder warb. 1965 wurde der Hausbauverein schließlich als gemeinnütziger eingetragener Verein vom Vereinsgericht anerkannt. 1965 kaufte der Hausbauverein zunächst ein Ackerland als Bauerwartungsland, wodurch die Zukunft der Aktivitas gesichert werden sollte. Der Aktivenbeitrag für die Mitgliedschaft im Hausbauverein wurde auf 1 DM pro Monat festgelegt, die Mitgliedschaft war verpflichtend.

Eine große Bereicherung stellten damals die Wissenschaftliche Sitzung von Frau Prof. Dorer von der Universität Marburg dar, einer begeisterten Thomistin. Das gleiche gilt für die Wissenschaftliche Sitzung von Bbr. Dipl.-Ing. Heck über die „klingende Gotik“, deren Choral in der Mainzer Singweise auch „Germanischer Choraldialekt“, gemäß den Choralausgaben der Kurfürsten Johann Philipp und Lothar Franz Schönborn, bekannt ist.

Leider verlor die Darmstädter Unitas den geistlichen Bbr. Pater Maximilian Stanzel vom Deutschen Orden in Darmstadt. Dieser ging nach Schweden und gründete dort, nördlich von Göteborg, die Pfarreien Lidköping und Skövde.

Doch leider hatte man die Rechnung ohne die sich anbahnenden Studentenrevolten der 68er Generation gemacht. Zunächst wurde bei der Aufnahme neuer Bundesbrüder nicht mehr so sorgfältig wie in der Vergangenheit auf die geistige Eignung geachtet, sodass sich „Fremdlinge“ einschlichen. Dann erlahmten die unitarische Begeisterung und die Keilarbeit. Das fiel einige Semester lang nicht auf, da die Feste beider Korporationen gemeinsam, in großen Sälen, gefeiert wurden. Der fatale Beschluss, die beiden Korporationen, die sich ja gerade in Krisenzeiten unterstützen sollten, wieder zu vereinen, war der Anfang vom Ende. Da die Ursachen des Niedergangs, wie mangelndes Engagement und Verzicht auf Keilarbeit, nicht beseitigt wurden, erlosch die Aktivitas im Jahre 1971.

Eine 13 Jahre dauernde aktivenlose Zeit begann, in der sich der ohnehin relativ schwache Altherrenverein durch Alterung und Verflüchtigungen kontinuierlich weiter verkleinerte. Für Kontinuität sorgte nur noch der Altherrenzirkel unter dem verdienten Bbr. Ludwig Seibert und später abgelöst von Bbr. Dr. Ludwig Pohl. 

Zudem war es der Verdienst des B-Philisters, Bbr. Grossmann, dass der Hausbauverein für „kommende bessere Zeiten“ aufrechterhalten wurde, sodass das angesammelte Kapital der Unitas Willigis in Mainz für deren Hauskauf geliehen werden konnte. Aber da die Palatia stets ihre Prinzipien wahrte, wie auch den inzwischen mehr unbewussten Rütlischwur, sollte auch diese Krisenzeit überwunden werden.

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