Die Lüge des Dolchstoßes

Eine Geschichtsfälschung mit großer Tragweite.

Wissenschaftliche Sitzung von Bbr. Philipp Rachor

Der verlorene Erste Weltkrieg und die harten Bedingungen des Versailler Vertrages lasteten schwer auf der deutschen Gesellschaft in der frühen Weimarer Republik. Der politische Umbruch wurde dabei zusätzlich von rechten Parteien und Anhängern der Monarchie erschwert. So begann die Oberste Heeresleitung, schon in den letzten Monaten des Krieges, mithilfe der Dolchstoßlegende, von ihren eigenen Fehlentscheidungen abzulenken. Der Dolchstoßlegende liegt die Behauptung zugrunde, dass das deutsche Heer im Ersten Weltkrieg nicht militärisch überwunden, sondern durch innenpolitische Auseinandersetzungen zu Fall gebracht wurde. In meiner Wissenschaftlichen Sitzung beschäftigte ich mich mit dem Verlauf und dem Ende des Ersten Weltkriegs, sowie mit der Entstehung und Verbreitung der Legende des Dolchstoßes.

Der Erste Weltkrieg
Es kann als Besonderheit des Ersten Weltkrieges angesehen werden, dass der Krieg bis zuletzt im Ausland tobte. Während das deutsche Militär mit dem Friedensvertrag von Brest – Litowsk an der Ostfront große Gebietsgewinne verzeichnen konnte, standen die deutschen Soldaten an der Westfront noch tief im Feindesland. Mit Hilfe der Amerikaner konnten die Alliierten, dank einem Übergewicht an Truppen und Material, aber nicht zuletzt auch wegen Fehlentscheidungen der deutschen Obersten Heeresleitung, die deutsche Offensive an der Westfront erfolgreich zurückschlagen. Nach der verlorenen Schlacht bei Amiens (08. – 11. August 1918) sah die Oberste Heeresleitung, angeführt von Erich Ludendorff und Paul v. Hindenburg, keine Möglichkeit mehr, den Krieg durch den Sieg des deutschen Militärs zu einem Ende zu bringen. Deshalb forderten sie die Reichsregierung dazu auf, die Waffenstillstandsverhandlungen mit dem US-Präsidenten Woodrow Wilson zu beginnen. Am 11. November 1918 wurde dieser unterzeichnet. Mit dem Waffenstillstand und dem Kriegsende gingen im Deutschen Reich starke politische Veränderungen einher. So verzichtete der amtierende Kaiser Wilhelm II. am 28. November 1918 im Rahmen der Novemberrevolution und 19 Tage nach Ausrufung der Republik auf seinen Thron. Im Mai 1919 wurde schließlich der Versailler Friedensvertrag geschlossen. Der Vertrag sah vor, dass das Deutsche Reich zahlreiche Gebiete im Osten und Westen abgeben musste, zusätzlich traten auch Gebiete nach Volksabstimmungen ab. Auch wurden dem Reich strikte Rüstungsbeschränkungen auferlegt, die die Heeresgröße limitieren sollten und die Entmilitarisierung des Rheinlandes beinhalteten. Als folgenschwerer Bestandteil des Vertrages entpuppte sich Artikel 231, mit dem Deutschland anerkennen musste, dass es zusammen mit seinen Verbündeten für alle Kriegsschäden und dem Ausbruch des Krieges verantwortlich ist, wodurch das Deutsche Reich zu Reparationen in Form von Geld- und Sachleistungen verpflichtet wurde.
In meinem Vortrag beschäftigte ich mich hauptsächlich mit der Frage, wieso das Deutsche Reich den Krieg militärisch verloren hat, um die Dolchstoßlegende zu entkräften. Als wesentliche Faktoren können hier das Scheitern des Schlieffenplans, der dadurch entstandene Zweifrontenkrieg, sowie Mangelwirtschaft, militärische Fehlkalkulationen und der Kriegseintritt der USA genannt werden.

Die Dolchstoßlegende
Wegen den im deutschen Volk als unfair angesehenen Bedingungen wurde der Versailler Vertrag als „Schmachfrieden“ in Deutschland betitelt. Die politische Rechte verknüpfte daher die Agitation des Versailler Vertrages mit der Propagierung der Dolchstoßlegende. Diese besagt, dass die Heimat der kämpfenden Front in den Rücken gefallen sei und die revolutionären Kräfte der politischen Linken an der militärischen Niederlage und somit am Versailler Friedensvertrag schuld sei.
Dabei stand die Dolchstoßlegende bei der politischen Rechten für zwei Aspekte. Zum einen wurde vom Versagen der militärischen Führungsinstanz, also der Obersten Heeresleitung, sowie der politischen Führung des deutschen Kaiserreiches abgelenkt, zum anderen konnte den revolutionären Kräften die Schuld am verlorenen Krieg und somit die Verantwortung für den „Schmachfrieden von Versailles“ zugesprochen werden.
Besonders die beiden Generäle Hindenburg und Ludendorff trugen zu einer weiten Verbreitung der Dolchstoßlegende bei. Im Rahmen eines Untersuchungsausschusses verlas Hindenburg am 18. November 1919 eine von ihm und Ludendorff ausgearbeitete Erklärung. Darin behaupteten sie, dass ihre
„[…] Operation mißlingen [mußte], es mußte der Zusammenbruch kommen, die Revolution bildete nur den Schlussstein. Ein englischer General sagte mit Recht: ‚Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden! Den guten Kern des Heeres trifft keine Schuld. Seine Leistung ist ebenso bewundernswürdig wie die des Offizierkorps.‘ Wo die Schuld liegt, ist klar erwiesen. Bedurfte es noch eines Beweises, so liegt er in dem angeführten Ausspruch des englischen Generals und in dem maßlosen Erstaunen unserer Feinde über ihren Sieg.“
Nach einer späteren Befragung des zitierten englischen Generals ist davon auszugehen, dass dieser die Aussage zum „Dolchstoß von hinten“ nie getroffen hatte und es sich dabei um eine Erfindung handelt, die die OHL entlasten sollte.

Die Dolchstoßlegende in der Propaganda
Propagandistisch wurde die Dolchstoßlegende zu den Anfangszeiten der Weimarer Republik vor allem von der DNVP (Deutschnationale Volkspartei) verwendet. In der nationalkonservativen DNVP vereinten sich ostelbische Junker, Adelige sowie ehemalige Offiziere der wilhelminischen Armee und Marine.
Auch Veteranenvereine wie zum Beispiel der „Deutsche Reichskriegerbund Kyffhäuser“ hatten sich die Losung „im Felde unbesiegt“ auf die Fahne geschrieben und waren zusammen mit Offiziersverbänden und dem Bund deutscher Frontsoldaten „Stahlhelm“ von großer Bedeutung für die Bekanntmachung der Dolchstoßlegende.

Im Nationalsozialismus wurde der Dolchstoß als Tatsache gesehen. In Hitlers „Mein Kampf“ wird die zentrale Stellung des Dolchstoßes für die Faschisten erkennbar. Darin führt Hitler seinen Beschluss, politisch aktiv zu werden, auf die Novemberrevolution und den „Dolchstoß des Marxismus“ zurück. So war laut Hitler, dass „dieses Heer zusammenbrach, […] nicht die Ursache unseres heutigen Unglücks, sondern nur die Folge anderer Verbrechen“. Er richtet seine Angriffe damit auf die „Parteien des Novemberverbrechens, Zentrum und Sozialdemokratie“.
Dem Nationalsozialismus diente die Dolchstoßlegende einem weiteren Zweck, indem sie als Agitation gegen die Juden verwendet wurde. In den Reden Hitlers und anderen faschistischen Führern wurde die Dolchstoßlegende antisemitisch aufgeladen.

Die nationalsozialistische Propaganda unterschied sich von deutschnationalen Interpretationen des Dolchstoßes dadurch, dass behauptet wurde, im November 1918 sei der Sieg zum Greifen nahe gewesen, was noch nicht einmal die Spitze der OHL behauptet hätte.

Abschließend betrachtet ist es sicherlich richtig zu sagen, dass die Dolchstoßlegende viele Jahre zur Vergiftung des politischen Klimas in der Weimarer Republik beitrug. Ursprünglich zur Ablenkung von den eigenen Fehlern von Monarchisten und Militaristen erschaffen, steht sie jedoch für die Auseinandersetzung der deutschen Öffentlichkeit mit dem Kriegstrauma und den harten Bedingungen des Versailler Vertrages in den zwanziger Jahren. Und schließlich wurde auch noch Hindenburg, einer der Väter der Dolchstoßlegende, 1925 zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt. Diese Tendenz in der Bevölkerung sollte letztendlich zusammen mit der Propaganda der nationalsozialistischen Demagogen zum Untergang der Weimarer Republik führen.

Von Bbr. Philipp Rachor

Dieser Beitrag wurde unter FUZ-Artikel veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.