Schlafen und Träumen – Eine Reise ins Unterbewusste

Schlafen und Träumen – Eine Reise ins Unterbewusste
Wissenschaftliche Sitzung von Bbr. Robert Blessing
Bei dieser Wissenschaftlichen Sitzung sollte der Frage auf den Grund
gegangen werden, warum wir schlafen und welche Funktion Träume
haben.
Zu Beginn wurde dazu die These Sigmund Freuds in den Raum gestellt,
dass Träume der Königsweg ins Unbewusstsein sind und uns somit einen
Zugang zu unserer Psyche darstellen. Diese These basiert auf Freuds
Strukturmodell der Psyche, welches den menschlichen Verstand in ein ES
(unbewusste, primitive, individuelle Bedürfnisse), ein Über-Ich
(unbewusstes Ideal- und Wertesystem) und ein Ich (bewusster Teil des
Verstands) unterteilt. Während das Ich in der Regel zwischen dem Es und
dem Über-Ich sowie äußeren Einflüssen vermittelt, soll der Traum laut
Freud einen Einblick in die Bedürfnisse und Sehnsüchte des Es bieten.
Um dieser These auf den Grund zu gehen muss jedoch zunächst
untersucht werden, welche Funktion Schlaf im Allgemeinen erfüllt:
Als einfachstes lässt sich Schlaf als ein Zustand reduzierter Aktivität des
Organismus beschreiben und ist mit Trieben wie Hunger, Durst oder
Fortpflanzung gleichzusetzten. Erwachsene Menschen schlafen zudem
etwa ein Drittel ihrer Zeit, aber auch Lang- und Kurzschläfer sind keine
Seltenheit und auch medizinisch nicht bedenklich. Ungesund sind hingegen
eher Probleme beim Ein- und Durchschlafen, da dies häufig eine
Auswirkung auf die Gefühlslage hat und zu Depressionen führen kann.
Da der Organismus jedoch während des Schlafs komplett verwundbar ist,
muss er eine essentielle Funktion haben. Eine reine Erholung des Körpers/
der Muskeln usw. kann jedoch nicht der Grund sein, da dies auch im
Wachzustand möglich wäre. Schlaf muss folglich eine Psychische Wirkung
haben.
Mehrere Theorien wurden in den Vergangenen Jahrzenten über diese
Funktion aufgestellt und reichen von einem uralten System der
Wiederherstellung, bis hin zu Verarbeitung der Ereignisse des Tages. Um
diese Frage zu beantworten bietet sich ein Blick auf die Hirnfunktion an, da
dort die Psyche der Menschen ‚verortet‘ ist. Hier lässt sich feststellen, dass
das Hirn im Schlaf noch zu 80% aktiv ist, wobei vor allem die Bereiche, die
zur Informationsverarbeitung dienen, arbeiten. Dies spricht dafür, dass das
Hirn eine Phase braucht, in dem es keine äußeren Informationen
verarbeiten muss und stattdessen Prozesse einleiten kann, die im
Wachzustand nicht möglich sind.
Um genauer zu klären, welche Prozesse dies sind und welche Funktion sie
haben, lohnt es sich die Aktivitäten des Hirn während des Schlafs genaue
anzugucken. Die wichtigsten Informationen dazu liefert eine
Elektroenzephalografie, welche die Hirnwellen aufzeichnet. Hier fällt auf,
dass sich der Schlaf in mehrere Phasen unterteilen lässt: Zunächst ein
erstes Stadium, welches eine Art Übergang vom Wach- in den
Schlafzustand darstellt. Das zweite Stadium ist eine Art ‚Leerlaufschlaf‘ mit
sehr rhythmischen Hirnwellen. Danach folgen zwei Stadien, die zusammen
als Tiefschlaf oder auch Slow Wave Sleep (SWS) bezeichnet werden, da
nun Blutdruck, Herzschlag und Atmung reduziert werden und eine hohe
Weckschwelle besteht. Erst später wurde eine weitere Schlafphase
entdeckt, die nach dem Tiefschlaf eintritt und dessen Hirnwellen dem
wachen Zustand mehr ähneln als allen anderen Schlafstadien. Aus diesem
Grund wurde diese Schlafphase zunächst Paradoxer Schlaf (PS) getauft –
viel gebräuchlicher ist jedoch die Bezeichnung REM-Schlaf, die die
schnellen Augenbewegungen – „Rapid Eye Movements“ – dieses Stadiums
beschreibt. Während dieser Phase sind die Teile des Hirns, die zur
Emotionsverarbeitung dienen, sehr aktiv. Zudem verlängern sich diese
REM-Phasen bei Schlafentzug in der nächsten Nacht. Dieser REM-Schlaf
kommt bei allen Säugetieren und auch Vögeln vor und muss daher eine
überlebenswichtige Funktion haben.
Diese verschiedenen Schlafphasen treten über die Nacht verteilt immer in
einem wiederkehrenden Rhythmus auf, wobei in der ersten Hälfte der
Nacht der Tiefschlaf und in der zweiten Hälfte der Nacht der REM-Schlaf
überwiegt.
Mit dieser Grundlage lässt sich nun tiefer in die Funktion des Schlafs
einsteigen: Wie bereits erwähnt ist das Hirn im Schlaf aktiv. Dies betrifft im
Wesentlichen sich rhythmisch wiederholende, neuronale Schwankungen,
die dem Regulieren der Informationsverarbeitung dienen. Die Prozesse
begünstigen die sogenannte Hirnplastizität, die es dem Hirn erlaubt seine
eigene Struktur zu verändern und anzupassen. Diese Hirnplastizität stellt
eine essentielle Funktion dar und rechtfertigt das Risiko der
Verwundbarkeit. Sie passiert zudem auf einem synaptischen und einem
systematischen Level. Auf dem synaptischen Level werden einzelne
synaptische Verbindungen gestärkt oder geschwächt, während auf dem
systematischen Level diese einzelnen Informationen in ein Netzwerk oder
auch ganze Hirnareale eingebunden wird. Diese neuronalen Verbindungen
bezeichnen wir als Erinnerungen und Wissen und vor allem der REM-Schlaf
spielt bei ihrer Verarbeitung eine entscheidende Rolle.
Bevor diese Rolle jedoch genau durchleuchtet werden kann, muss
zunächst kurz erklärt werden, wie die Gedächtnisstruktur unseres Hirns
funktioniert:
Die Fähigkeit Gedanken und Informationen zu sortieren und zu speichern
ist ein evolutionärer Vorteil des Menschen. Genauer gesagt werden aus
externen Stimuli Informationen extrahiert und diese mit vorhandenen
Informationen und Erinnerungen abgeglichen und anschließend die
optimale Reaktion ausgeführt. Dies unterscheidet uns von den meisten
anderen Lebewesen, deren Verhalten größtenteils auf simplen ReizReaktion-Instinkten
basiert. Die Erinnerungen, auf die wir stattdessen
zurückgreifen, sind neural kodierte Informationen in unserem Gehirn, die
wir als Gedächtnis bezeichnen.
Dieses Gedächtnis gliedert sich in ein Sensorisches Gedächtnis, welches
lediglich zur Informationsaufnahme dient und nur wenige Sekunden
Informationen speichern kann, ein Kurzzeitgedächtnis, das Informationen
wenige Stunden speichern kann und das Langzeitgedächtnis, welches dann
dauerhaft oder zumindest für mehrere Jahre speichern kann. Das
Langzeitgedächtnis unterteilt sich zudem noch in ein explizites und ein
implizites Gedächtnis, wobei im expliziten Gedächtnis sachliches Wissen
und Informationen über die eigenen Person und im impliziten Gedächtnis
Reizwiedererkennung, Verhaltensmuster, Handlungsabläufe, und
Emotionen gespeichert werden – also alles was über sachliches Wissen
hinausgeht.
Der Prozess der Informationserschaffung kann wiederum in 3 Stadien
unterteilt werden. Während dem erstem Stadium – der Enkodierung –
erhält die Information eine Repräsentation im neuronalen Netzwerk,
welche jedoch noch sehr labil ist. Als nächstes folgt dann die
Konsolidierung, welche der Stabilisierung und Vernetzung dieser
Information dient. Das anschließende Abrufen der Informationen wird
zudem als drittes Stadium beschrieben.
Die Konsolidierung lässt sich weiter in eine synaptische Konsolidierung und
eine systematische Konsolidierung unterteilen und entspricht den Leveln
der Hirnplastizität, die bereits beschrieben wurden. Die synaptische
Konsolidierung beginnt bereits während dem Lernen im Wachzustand und
dauert nur wenige Stunden, während die systematische Konsolidierung
dann im Schlaf passiert! Während der systematischen Konsolidierung –
also während des Schlafs – werden folglich Informationen vom
Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überschrieben, wobei während
des Tiefschlafs das explizite Gedächtnis und während des REM-Schlafs das
implizite Gedächtnis abgehandelt wird. Dies zeigt sich z.B. auch wenn man
sich das Verhältnis von Tief- zu REM-Schlaf im Verlauf eines menschlichen
Lebens anguckt: Als Säugling und Kleinkind ist der Anteil an REM-Schlaf
wesentlich höher, da erheblich mehr Handlungsabläufe und
Sozialverhalten erlernt werden müssen. Ab der Pubertät pendelt sich der
REM-Schlafanteil dann bei etwa 25% ein. Im Alter hingegen sinkt der
Schlafanteil allgemein, was die Frage aufwirft, ob alte Menschen
schlechter lernen weil sie weniger Schlafen oder ob sie weniger Schlaf
benötigen, weil sie weniger lernen? Auf diese Frage ließ sich jedoch keine
Antwort finden, sodass sich ggf. ein Bundesbruder diesem in einer
weiteren WS annehmen könnte.
Zusammenfassend bietet Schlaf also für den Körper eine Möglichkeit die
fragilen Kurzzeiterinnerungen in stabile Langzeiterinnerungen
umzuwandeln und diese zu verwalten und neu zu ordnen.
Was hat dies jedoch nun alles mit Träumen zu tun?
Träume tauchen in allen Epochen der Menschheit auf, werden jedoch stets
unterschiedlich interpretiert. In der Antike reichen die Deutungen von
Gottesbotschaften bis zu Schicksalsvorhersagen, aber auch profanere
Interpretationen mit individuellem Vokabular wurden verfasst. Im
Mittelalter spielen Träume nur in religiösen Überlieferungen eine Rolle,
sodass die Traumdeutung erst mit der Renaissance wieder an Bedeutung
gewinnt. Träume werden zu dieser Zeit als Gegenstück zur Realität
angesehen und in dieser Epoche taucht auch das erste Mal der Begriff
„Unbewusstsein“ auf. Ab der Neuzeit hält die Traumdeutung Einzug in die
Philosophie und Wissenschaft, sodass sich auch letztendlich Sigmund
Freud damit beschäftigt.
Heutzutage rivalisieren in der Öffentlichkeit verschiedene
Traumdeutungen von einem simplen ‚Erlebnis‘ während des Schlafs über
die Sprache der Seele bis hin zur Bedeutungslosigkeit (Träume sind
Schäume). Auch Freuds These – „Träume sind ein sinnhaftes, psychisches
Phänomen mit unbewusstem, latentem Wunsch“ – ist noch gängig.
Tatsächlich träumen wir erheblich mehr als wir erinnern und haben sogar
meistens mehrere Träume in einer Nacht, die sogar bis zu 35 Minuten
dauern können. Eine Erinnerung eines Traums hat man hingegen nur wenn
man aus ihm oder direkt nach ihm Erwacht. Die Traumerinnerung hängt
zudem vom Alltagsleben ab: Bleibt man am Morgen länger im Bett liegen,
erinnert man mehr als wenn man direkt mit dem Morgenprogramm
beginnt. Deshalb haben viele Menschen am Wochenende mehr
Traumerinnerungen als unter der Woche. Zudem sind 80 bis 90% alles
Traumerinnerungen Angstträume, da man aus diesen öfters aufwacht.
Träume bestehen zudem hauptsächlich aus Bildern, da sie in der rechten
Hirnhälfte entstehen, die für die visuelle Wahrnehmung zuständig ist. Die
linke Hirnhälfte, die für logisches Denken verantwortlich ist, bleibt
hingegen meist inaktiv. Aus diesem Grund werden Träume als unlogisch,
wirr und emotional wahrgenommen und sind häufig mit Erinnerungen und
Gefühlen verbunden.
Zudem gibt es je nach Schlafstadium unterschiedliche Arten von Träumen:
Die im Tiefschlaf auftretenden Träume wurden lange Zeit nicht als Traum
anerkannt, da sie meist nur kurze, fragmentarische Erlebnisse sind, die
weniger bizarr sind, als man es von einem Traum erwarten würde. Von uns
werden sie deshalb auch kaum als Traum erkannt, sondern eher als
Erinnerung oder Déjà-Vu eingeordnet. Die Träume in der REM-Phase sind
hingegen die klassischen, bizarren, emotionalen Träume mit längeren
Handlungssträngen und mehr Kontinuität. Komplexe Denkvorgänge
kommen hingegen auch hier nicht vor, da der Träumer häufig nur
Beobachter der Handlung ist. REM-Träume gelten daher als die typischen
Träume im Gegensatz zu den fast nüchternen Träumen des Tiefschlafs. Sie
werden zudem häufiger erinnert, da die REM-Phase stets am Ende eines
Schlafzykluses steht, nach welchem man häufig kurz aufwacht.
In der REM-Phase treten zudem auch die gefürchteten Albträume auf, die
man jedoch von Angstträumen (Pavor nocturnus) abgrenzen muss. Diese
Treten im Tiefschlaf auf und sind intensive Angsterlebnisse aus denen man
zu meist schreiend, schlagend und ohne Orientierung aufwacht. Albträume
hingegen zeichnen sich eher durch ein unterschwelliges Angstgefühl aus,
wobei meist nur die Art der Angst (fallen, sterben, Bedrohung) als
Erinnerung bleibt, aber keine Handlungselemente. Sie sind also eher ein
Gefühlserlebnis, was stark dafür spricht, das REM-Träume eine emotionale
Komponente haben!
Dies rührt daher, das während des REM-Schlafs der Erfahrungsschatz für
Emotionen und Sozialverhalten abgespeichert wird: es findet eine
systematische Konsolidierung im impliziten Gedächtnis statt. Dieser
Erfahrungsschatz muss ständig bearbeitet werden, da Sozialverhalten vor
allem auch für den urzeitlichen Menschen extrem wichtig war und ist.
Träume verarbeiten also in gewisser Weise die emotionalen Konflikte und
Erlebnisse des Tages. Dies zeigt sich auch daran, dass z.B.
Kriegstraumapatienten bei der Heilung längere REM-Phasen aufweisen.
Der Trauminhalt entspricht dabei dem, was verarbeitet wird. Einzelne
Trauminhalte entsprechen also immer Erfahrungen aus der Vergangenheit,
während andere Ereignissen der vergangenen Tage repräsentieren. Es
werden also neue Informationen in das Netz von bestehenden
eingearbeitet. Da während der Verarbeitung (der systematischen
Konsolidierung) jedoch auch die Teile des Hirn aktiv sind, die der
Informationsaufnahme dienen, bekommt man von dieser Verarbeitung
überhaupt etwas mit –man träumt. Dennoch haben viele Inhalte des
Traums nur symbolischen Charakter und Bedeutung, da der
Erinnerungsschatz und dessen Codierung von Mensch zu Mensch
unterschiedlich ist.
Träume bedürfen folglich keiner Deutung oder Bedeutung, da sie lediglich
ein Nebenprodukt der Konsolidierungsvorgänge in unserem Hirn sind.
Dennoch bieten sie einen passiv einen Einblick in unsere Psyche und die
Dinge, die wir verarbeiten und daher als wichtig empfinden. Jedoch eher
passiv und nicht absichtlich, wie ursprünglich von Freud angenommen.
von Bbr. Robert Blessing

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