Land – Flucht – Annährungen

Land – Flucht – Annährungen
Festrede anlässlich des Vereinsfestes zu Ehren der hl. Maria
Immaculata im WS 15/16
Für das Vereinsfest zu Ehren der hl. Maria Immaculata haben wir im
letzten Jahr Johannes Borgetto als Festredner gewinnen können. Herr
Borgetto war 20 Jahre lang als Gemeindeassistent für die katholische
Hochschulgemeinde Darmstadt tätig, bevor er 1999 zum Migrationsdienst
des Caritasverbandes wechselte. Dort gehörten, bis zu Antritt seines
Ruhestandes 2013, die Interkulturelle Woche Darmstadt, die
Flüchtlingsarbeit, die Fachberatung für Asylfragen, der interreligiöse Dialog
und die Nahostarbeit sowie die allgemeine Beratung von Migranten zu
seinen Arbeitsschwerpunkten. Zurzeit ist er für den Asylkreis Darmstadt
aktiv, mit dem er Hilfestellung für Migranten in allen Lebenslagen bietet.
In seinem Vortrag hat über die Flüchtlingssituation sowie über mögliche
Gründe dafür, als auch über seine Arbeit im Asylkreis referiert und immer
wieder auch Punkte aufgezeigt, durch die jeder einzelne helfen kann.
Zunächst haben wir uns mit den Push- und Pull- Faktoren der Migration
beschäftigt. Hier ist als hauptsächlicher Push-Faktor der Waffenexport zu
nennen. Um dies einmal zu konkretisieren vor allem der Export der
sogenannten Handfeuerwaffen, diese „befeuern weit mehr Klein- und
Bürgerkriege als Kanonen, Panzer, Bomber, Raketen oder Drohnen. Von
100 durch Waffen Getöteten, sterben 2/3 durch Faust- und
Handfeuerwaffen.“ (Borgetto, 2015) Dies ist dann ein von uns selbst
geschaffener Push-Faktor für Schutzsuchende, denn Heckler&Koch gehört
zu den weltweit fünf größten Produzenten für Kleinfeuerwaffen.
Als Pull-Faktoren sind hier besonders die Willkommens-Kultur zu nennen,
die der Großteil der deutschen Bevölkerung pflegt, und die starke
Volkswirtschaft, die auf gute Arbeit hoffen lässt.
Ein weiterer großer Punkt in der Geschichte der Migration in Deutschland
ist die Anwerbung von Arbeitsmigranten, die damals zur Arbeit nach
Deutschland angeworben wurden und nach 5 Jahren wieder in ihre Heimat
zurückkehren sollten und durch neue Arbeiter ersetzt werden. So stellte
sich die Politik das sogenannte „Rotationsprinzip“ vor. Dieses Prinzip
„funktionierte natürlich nicht, da auch die Wirtschaft die einmal
angelernten Arbeiter nicht so schnell wieder ziehen lassen wollte. Was
aber funktionierte, war die Belebung u.a. deutscher gastronomischer
Kultur, Pizzeria und Gelateria wurden deutsche Begriffe und das ging
immer so weiter, bis Kebab und Asia Fastfood.“ (Borgetto, 2015) Durch das
störrische Festhalten am Mantra „Deutschland ist kein
Einwanderungsland“ bis in die jüngste Zeit hat sich die deutsche
Gesellschaft durch die politische Visionslosigkeit und mangelnde
Vorausplanung auch Probleme eingehandelt. So hat man es verpasst
rechtzeitig Kapazitäten aufzubauen, „um adäquat auf die
gesellschaftlichen Herausforderungen durch fremdkulturelle Bevölkerung
zu reagieren.“ (Borgetto, 2015) Die Wirtschaft wollte kein Rotationsprinzip,
aber die Politik wollte andererseits auch keine Investitionen in Kitas und
Ausbildung tätigen. „Die Arbeitsmigranten sind dennoch geblieben, haben
Familien gegründet und Deutschland vielseitiger und bunter gemacht – frei
nach Max Frisch: Wir holten Arbeitskräfte und es kamen Menschen.“
(Borgetto, 2015)
Die neue Vielfalt war nicht nur kulturell, sondern auch religiös. „Nachdem
in vielen Teilen West-Deutschlands nach dem Krieg neben den bisher
einzigen Kirchturm im Dorf ein zweiter kam, gesellten sich jetzt Minarette
dazu. Das religiöse Leben der Musliminnen und Muslime hat uns
Christinnen und Christen wieder zu vertieftem Nachdenken über die Praxis
in der eigenen Religion gebracht – Konkurrenz belebt eben das Geschäft.
Andererseits – Ökumene hat dadurch eine noch weitere Dimension
erhalten.“ (Borgetto, 2015) Pater Laurentius Klein, früherer Abt der
Dormitio, des deutschsprachigen Benediktinerklosters auf dem Zionsberg
in Jerusalem, sprach von einer kleinen Ökumene, d.h. die Christen unter
sich, und einer großen Ökumene, dem Dialog der monotheistischen
Religionen Judentum, Christentum und Islam.
Den Einstieg in die Flüchtlingsarbeit hat Johannes Borgetto an seinem
eigenen Beispiel beschrieben. Anfang der 90iger Jahre war Johannes
Borgetto noch für die KHG tätig, hier hatte sich zu dieser Zeit eine
sogenannte „Technische Hilfe für ältere Mitbürger“ entwickelt, welche bei
technischen Problemen im Alltag half, soweit keine Fachleute von Nöten
waren. Zusätzlich erfand er die „soziale Hilfe für Flüchtlinge“, welche
anfangs in einem Container am Kavalleriesand in Darmstadt, wo damals
eine Dependance der HEAE für Flüchtlinge eingerichtet wurde, einen
Teestubenbetrieb organisierte. Es war eine Mischung aus Bewirtung,
Beratung und Zeitvertreib. Durch die Vernetzung mit anderen
Helferkreisen im Raum Darmstadt und auch mit Hauptamtlichen aus der
Flüchtlingsberatung der Wohlfahrtsverbände entstand der
Koordinationskreis Asyl Darmstadt (KOKAS). „Als dann 1993 bei einer
knappen halben Million Asylanträge das Asylrecht durch
Grundgesetzänderung massiv eingeschränkt wurde, – Stichwort sichere
Herkunfts- und sichere Drittländer, sowie das Asylbewerberleistungsgesetz
-, wurde bei sinkenden Antragszahlen auch das Lager in Darmstadt
geschlossen, sodass die Kommunen ihre Flüchtlings-Unterkünfte auflösten
und die Asylkreise ihre Tätigkeit einstellten.“ (Borgetto, 2015) 1992 lösten
eine halbe Million Asylanträge ein verfassungsrechtliches Erdbeben aus, im
Dezember 2015 hingegen wurde auf dem SPD – Parteitag eine Resolution
diskutiert, die feststellt, dass wir ca. eine halbe Millionen
Nettoeinwanderung pro Jahr benötigen. So ging 1993 auch die Aktivität
von KOKAS zurück, da die Ehrenamtlichen kein Aktionsfeld mehr sahen
und die Hauptamtlichen hauptsächlich als Ehrenamtliche weiterarbeiteten.
„2008 richtet der Arbeitskreis einen Sprachkurs für Asylsuchende ein, die
noch nicht berechtigt waren, einen Integrationskurs zu besuchen. […] 2009
kam der Sprachclub dazu, ein Treff, um das Sprechen zu üben, das im
Alltag oft auf Grund fehlender deutsch-sprachiger Bekannter nicht möglich
ist.“ (Borgetto, 2015).
2013 stiegen dann die Flüchtlingszahlen exorbitant an. „KOKAS hatte
sozusagen einen fliegenden Start in dieses Rennen um Integration und
Flüchtlinge. Wo anderweitig Strukturen erst wieder aufgebaut werden
mussten, waren wir schon voll einsatzfähig, komplett mit den
notwendigen Fachkenntnissen im Asylrecht, in Kontakt mit einschlägigen
Rechtsanwälten, vernetzt mit Kirchengemeinden und anderen
Institutionen, auch mit muslimischen. Deshalb hielten und halten wir es für
unsere Aufgabe, die gesamte Szene zu beobachten und uns dort
einzubringen, wo wir Defizite feststellen.“ (Borgetto, 2015) So hat KOKAS
dabei geholfen an vielen Orten lokale Helfergruppen zu initiieren (2013 in
Messel, 2014 in Pfungstadt, 2015 in Roßdorf und Eberstadt, zum Zeitpunkt
des Vortrages wurde gerade der Kontakt nach Kranichstein hergestellt).
„An Eberstadt zeigt sich ein weiteres Prinzip: Wir steigen da ein, wo sich
auch lokale Kräfte zur Mitarbeit finden. D.h., Menschen bieten sich an, wir
erkunden ihre Kompetenzen, um dann mit ihnen eine Aktivität zu
entwickeln, die sie durchführen können, allein, oder gemeinsam mit
anderen und mit KOKAS als Rückendeckung.“ (Borgetto, 2015)
Das Ziel ist es Flüchtlinge als Chance für die Gesellschaft wahrzunehmen,
sodass sich die öffentliche Sicht ändert. „Ich meine, wir haben eine
Organisationskrise und spreche lieber von der Flüchtlingschance. Zur Krise
wird das Ganze erst, wenn wir versagen, wenn sich Frust, Depression und
Gewalt entwickeln, die ganzen sozialen Krankheiten“ (Borgetto, 2015).
Durch die Flüchtlinge können Lücken in der Gesellschaft geschlossen
werden, wodurch es zu einen Win-Win Effekt kommt, da die
gesellschaftliche Integration der Flüchtlinge einhergeht mit einer
gesellschaftlichen Leistung. So hat zum Beispiel eine ältere Dame aus
Griesheim mit Hilfe von KOKAS eine anerkannte Schutzsuchende
aufgenommen, die ihr im Haushalt zur Hand geht. Im Gegenzug darf sie bei
der älteren Damen wohnen und lernt von ihr über unsere Gesellschaft und
die deutsche Sprache. Aber solchen Vorhaben und Vermittlungen stehen
oft bürokratische Hindernisse im Weg.
Erst im Jahr 2005 wurde der Inhalt der Genfer Flüchtlingskonvention im
bundesdeutschen Gesetz dem Art. 16a GG gleichgestellt. Hierdurch
änderte sich, dass auch Flüchtlinge, die aus einem nicht anerkannten Staat
kommen, ein Recht auf Anerkennung haben. Vor 2005 war dies zum
Beispiel ein großes Problem für Flüchtlinge aus Afghanistan, da das hier
herrschende Taliban-Regime nicht offiziell als Regierung anerkannt wird
und somit die Flüchtlinge nicht nach Art. 16 GG anerkannt wurden und sich
die Anerkennung höchstens einklagen konnten.
Wichtig ist, dass Flüchtlingen eine Einwanderung in unser Sozialnetz
gelingt, da ein Arbeitsverbot für die gesamte Zeit des Asylverfahrens
niemanden abgeschreckt hat nach Deutschland zu kommen, aber
erheblich zur Des-Integration beigetragen hat. Da darunter sowohl die
Psyche der Betroffenen als auch ihre Stellung in der Gesellschaft litten und
in Teilen der Gesellschaft der Vorwurf aufkam, dass Flüchtlinge sich nur auf
ihrer sozialen Hängematte ausruhen würden. „Das aber diese Zeit des
Arbeitsverbotes von minimaler Geld- und überwiegender Sachzuwendung
geprägt war – bis hin zu Essenspaketen mit deutschen Essensvorstellungen,
die aber auch wir Einheimische nur mit spitzen Fingern
angefasst haben – das wurde bei den Asyl-Ablehnern nicht zur Kenntnis
genommen.“ (Borgetto, 2015) Aber durch Änderungen im Gesetz ist man
generell in die richtige Richtung unterwegs. So haben sich die Zeiten des
Arbeitsverbots für Flüchtlinge inzwischen geändert und sind sukzessiv
zurückgegangen: 3 Jahre, 1 Jahr, 9 Monate, und seit 2015 3 Monate
nachranging und ab 15 Monaten gleichrangig. So müssen wir allen, die hier
leben, die Chance geben an der Kultur teilzunehmen und diese auch mit zu
entwickeln. Denn „Kultur setzt sich immer wieder neu zusammen aus der
Zivilität der Menschen, die gerade zusammenleben, – auf der Grundlage
einiger unveränderbarer Regeln (GG/Menschenrechtsartikel). Kultur ist
keine starre Größe, „weil wir das schon immer so gemacht haben. […]ganz
nach der Erkenntnis der alten Griechen: πἀντα ρεῖ – alles fließt.“ (Borgetto,
2015).
„Wenn wir uns mal in der Grundlage unseres Glaubens, der Schrift,
genauer umschauen, dann entdecken wir, dass wir da ein Buch vor uns
haben, voll von Wirtschafts-, bzw. Hunger-Flüchtlingen, religiösen
Auswanderern – und auch einigen politischen Schutzsuchenden“ (Borgetto,
2015). So hat die Flüchtlingsarbeit auch eine christliche Motivation mit
biblischen Befunden. Beispiele hierfür sind Abraham, der als HungerFlüchtling
nach Ägypten zieht, oder Moses, der mit dem jüdischen Volk aus
Ägypten flieht.
„Aus einer biblischen Anerkenntnis der menschlichen Wander- und
Fluchtrealität blinkt eine Vision offener Grenzen hervor und ganz
besonders eine Theologie der Gastfreundschaft“ (Borgetto, 2015). Diese
Gastfreundschaft wird schon bei Abraham deutlich, der drei Fremde
aufnimmt und nur so die Chance hat sie als Boten Gottes zu identifizieren.
Woraus sich wohl das Sprichwort: „Gast im Haus – Gott im Haus“ ableitet.
So das man sagen kann: „Jeder Schutzsuchende ist eine Herausforderung
Gottes an mich.“ (Borgetto, 2015). So ist das Verständnis der heutigen
Gastfreundschaft und des gemeinsamen Miteinanders unterschiedlicher
Kulturen und Religionen bereits in der Bibel niedergeschrieben. Das Buch
„Ruth“ befasst sich mit interreligiöser Verständigung, wenn die Moabiterin
Ruth zu ihrer israelitischen Schwiegermutter sagt: „Dein Gott ist mein
Gott.“, worin man die „Lichte unseres heutigen interreligiösen Dialoges:
Gott trennt uns nicht, Gott eint uns – auch wenn wir auf verschiedenen
Wegen zu Gott unterwegs sind – eine Groß-Ökumene eben.“ (Borgetto,
2015).
Im 3. Buch Moses ist das Anti-Diskriminierung erhalten: „Er soll bei euch
wohnen, wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie
dich selbst“ (Kap. 19,34). „Genau so hat das Bundesverfassungsgericht
geurteilt: Das Sonderrecht des Asylbewerberleistungsgesetzes ist
verfassungswidrig, es muss an das bundesdeutsche SGB angeglichen
werden.“ (Borgetto, 2015).
von Bbr. Paul Grewe

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